so, habe mir den Film jetzt zum aller ersten Mal in meinem Leben bewußt angeschaut. Wenn ich mir so eine Perle schon leiste, dann will ich sie auch wirklich ansehen. Und man kann in diesem Film so vieles sehen, hineininterpretieren, assoziieren, daß ich mir dachte, da könnte ein eigener Thread passen.
Also, schreibt hier munter eure Kommentare zu diesem Film – natürlich gerne auch was über Artwork, Sound/Ton-Qualität, etc. aber bitte nicht „Mein Booklet ist falsch“, sondern es soll hier wirklich nur um das „Produkt“ in seiner Analyse und Interpretation gehen. – und jetzt: Viel Spaß!
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Ich habe den Film, als er rauskam, im Kino gesehen, ich war 14 Jahre alt. Ich war zu Besuch bei meinen Eltern vom Internat aus – ich in Wien, meine Eltern in einem Kaff in der Nähe von Basel. Und ich WOLLTE ins Internat! Da ich seit Herbst 1987 in Wien in der Schule war, müssen es Ferien gewesen sein, weiß nicht mehr welche, aber ich habe dunkle Jahreszeit im Kopf – Kinostart in UK war im Juni 1988, habe aber noch nicht rausfinden können, wann der Film bei uns im Kino lief – da kann mich meine Erinnerung auch täuschen von der Jahreszeit her. Jedenfalls wurde in meinem Kleinstadtkaff Bad Säckingen (damals 10.000 Einwohner) dieser Film im Kino gezeigt – nach heutigen Gesichtspunkten betrachtet: WOW!
Ich war von please und disco (hatte ich als Doppelkassette von einem Schulfreund in dem Kaff überspielt bekommen – und noch heute habe ich bei „Two diveded by zero“ die Stelle im Ohr, als mein Kumpel mitten in der Aufnahme die Taste für schnelles und langsames Überspielen gedrückt hat) und natürlich actually (hatte die LP von meiner Bruder Weihnachten 1987 geschenkt bekommt – eine meiner ersten Pop-Schallplatten überhaupt!) begeistert und infiziert – introspective hat dann ein Kumpel im Internat mitgebracht und wir haben die Platte rauf- und runtergehört… Ihr merkt, der Film löst bei mir ganz viele Assoziationen an die Zeit aus, in der er spielt, in der er entstanden ist – wo war ich damals, wer bin ich jetzt, usw., usf.
Bevor ich euch aber noch länger mit Anekdoten aus meiner Kindheit und Jugend langweile, in medias res – der Film!
Habe mir den Film in 2 Teilen angeschaut. Gestern den Kinotrailer und dann bis zur ersten Szene mit der Bauchrednerpuppe (ca. 45 Minuten) und heute ab der Szene mit dem Priester mit den beiden Jungs und den Matrosen in Sturm (ca. ab Minute 20) bis Schluß. Ich sag’s wie es ist, bei der Szene mit der Bauchrednerpuppe bin ich gestern ausgestiegen, bis dahin konnte ich mir auf so gut wie alles einen Reim machen. Natürlich nicht jedes Details, aber eben den großen Bogen des Films.
Das Ganze beginnt als Sittengemälde. Beim Blättern im Booklet (hab’s noch nicht gelesen, wollte erst meine Meinung bilden, bevor ich Hintergrundmaterial lese) ist mir ein Satz hängen geblieben, daß die Grundidee des Films eine Postkarte ist, die zum Leben erwacht. Und genau das ist (glaube ich) die „Anleitung“ für diesen Film. Es ist eine linear erzählte Geschichte, die sich aber nur durch episodenhafte Betrachtung erkennen läßt. Und aus diesem spießigen, kleinbürgerlichen Postkarten-Millieu (der Kioskverkäufer und das bed‘n breakfast) wollen zwei Jungs, die nichts miteinander zu tun haben, raus. Natürlich ist das eine biographische Anspielung, die strenggenommen anders war, aber so viel künstlerische Freiheit muß bei so einem Projekt erlaubt sein. Die ganze Nummer mit dem Priester ist natürlich Neils katholische Erziehung im Internat, seit „It’s a sin“ war dieser Teil seiner Biographie ja öffentlich. Dann wird aus dem Ganzen ein Roadmovie bis man die nächste größere Stadt erreicht, von der aus ein Zug in die Hauptstadt fährt – dazwischen wieder ganz viele neue Postkarten – und man landet in einer Hölle, in der die Menschen ausgebrannt sind von ihrer Arbeit (das berühmte Motiv des „Burning man“ von Pink Floyds „Wish you were here“-Cover erwacht hier zum Leben) und in der Krieg und Terror herrscht – die Stimmung in Großbritannien damals war nun mal geprägt von massiver Arbeitslosigkeit, Thatcherism und dem Terror der IRA. In diesem Geiste wurde actually ge-, die Depression als Folge wird im Film beschrieben. 15 Jahre später konnte man bei „The Full Monty“ schon wieder mit einem lachenden Auge auf diese Zeit zurückschauen, aber 1988 war man noch mittendrin, statt nur dabei.
Für Deutschland ist das ein bißchen vergleichbar mit „Sonnenallee“ und später „Good-bye, Lenin“ – auch hierzulande mußten ein paar Jahres ins Land gehen, bevor man die Wende und ihre Folgen auch mit Humor betrachten konnte.
Ich habe auch immer wieder Goethes Titel „Willhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre“ im Kopf gehabt – hab ich zwar nie gelesen, aber aus meiner Schulzeit weiß ich halt noch, daß das einer der ganz großen Bildungs-, bzw. Entwicklungsromane ist – und auch das ist Teil dieses Films – und jetzt sind wir wieder bei der eigentlichen Handlung: Zwei Jungs, die in die große Stadt aufbrechen, um dort ihr Glück zu machen. Wie in jedem guten Entwicklungsroman werden dem Protagonisten natürlich Steine in den Weg gelegt – ab dem Autokauf sind die Leben der Beiden jedoch zu einem gemeinsamen Weg verschmolzen, jeder bleibt seine Persönlichkeit, aber eben ab jetzt erlebt man alles zu zweit. Wie oben schon gesagt, daß ist natürlich nicht die konkrete Biographie der Pet Shop Boys, aber für diesen Film finde ich es ok, denn von der Sache her hätten Neil und Chris sich auch irgendwo in der britischen Provinz kennenlernen können, um dann gemeinsam in die Welt zu ziehen.
Möglicherweise hat mir beim ersten Ansehen dieses Film nach fast 32 Jahren (denn ich habe es nicht geschafft, den Film seitdem damals im Kino noch einmal anzusehen) auch ein Satz geholfen, der mir 2004 gesagt wurde, als ich Stipendiat in Bayreuth war. Es war das Jahr des großen Schlingensief-Skandals bei Parsifal, der dazu geführt hat, daß der Regisseur nach der Premiere das Festspielhaus nicht mehr betreten durfte – es war ein Riesenstress auf dem Grünen Hügel wegen dieser Produktion – und Schlingensief hat eben assoziativ gearbeitet wie immer. Und genau das gaben mir ein paar Chorsänger, mit denen wir nach dem Tannhäuser am 1. Abend noch auf ein Bier gesessen sind, als Tipp für Parsifal: „Denke nicht darüber nach, was du siehst, versuche nicht, alles zu verstehen. Laß dich einfach darauf ein und spinne deine Gedanken…“ – und genau so bin ich an „It couldn’t happen here“ herangegangen. Denn daß der Film keine konkrete Handlung im klassischen Sinne hat, das ist uns allen hier in diesem Forum doch bewußt, oder?!
In diesem Sinne könnte ich jetzt noch seitenweise weiterschreiben, aber ich will es erstmal dabei belassen. Im Moment schwanke ich noch, ob ich mir den Film beim nächsten Mal komplett am Stück anschaue, oder ob ich anfangen will, die einzelnen Szenen zu analysieren… denn mittlerweile habe ich sogar für die Bauchrednerpuppe, die mich gestern so aus dem Konzept gebracht hat, eine Lösung gefunden… aber das ist natürlich erstmal nur meine Lösung, die ich nochmal überprüfen muß.
Auf jeden Fall gibt es bei diesem Film noch vieles zu entdecken.
Und dann noch ein Punkt, der direkt mit der Karriere der PSB zusammenhängt und für mich ganz allgemein bei diesem Film irgendwie mit reinspielt. Die Jungs hatten Sommer 1988 mit Disco bereits 3 erfolgreiche Alben veröffentlicht, daß 4. Album (Introsprective) stand in den Startlöchern, sie hatten einen Hit nach dem anderen – und die beiden gehen einfach nicht auf Tour! Stattdessen kommt dieser Film, der von der assoziativen Kraft her nicht neu war (man denke an Yellow Submarine von den Beatles bis zu The Wall von Pink Floyd, auch diese Filme arbeiten ganz stark mit assoziativen Bildern), aber daß so etwas von einer Synthiepop-Band auf den Mark geworfen wird, das war dann doch wieder ungewöhnlich.
Wenn man nun den MXMXCIX-Auftritt betrachtet, dann war It couldn’t happen here das Tryout zu dieser kleinen Tour – und MXMXCIX war die Vorstufe zur Performance-Tour. Nach dem Motto: Leute, erwartet von uns keine Show im herkömmlichen Sinne, wenn wir auf Tour gehen, werdet ihr euren Augen und Sinnen nicht trauen. Und genau so ist es ja auch gekommen, weshalb für mich die Show, die David Alden zusammengestellt hat, zum Stärksten gehört, daß die PSB jemals auf die Bühne gestellt haben und auch nie mehr übertroffen wurde.
So, nun aber endgültig Schluß mit meinen Ergüssen – bin schon sehr gespannt, was ihr in diesem Film alles entdeckt – laß eure Fantasie spielen, denn dazu wurde dieser Film m.E. gemacht: Um zu inspirieren – und was könnte beim Abspann passender sein, als ein Song mit dem Titel „I want to wake up“…